Die Charité-Serie als Markenbooster – Prof. Thomas Schnalke über Schnittstellen zwischen Medizingeschichte und Unternehmenskommunikation
8,32 Mio. Zuschauen haben die erste Folge der ARD-Serie Charité gesehen und auch die nachfolgenden Episoden waren ein Publikumsmagnet. Auf einmal sprechen Menschen über die Charité, die mit dem Namen zuvor kaum mehr verbunden haben, als dass es irgendein Krankenhaus in Berlin sei. Wie genau zahlt dieser Erfolg Ihrer Meinung nach auf die Marke Charité ein?
In der Tat ist die Charité mit diesem außerordentlichen Serien-Erfolg nun jedem im Lande ein Begriff. Dabei blieb der Name „Charité“ im TV-Event nicht einfach nur ein Hülsenbegriff für ein großes deutsches Universitätsklinikum. Die „Marke Charité“ wurde historisch gefüllt, sprich die Serie machte deutlich, woraus sich die Bedeutung des Krankenhauses herleitet: Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden an der Charité und in der Berliner Medizin darum herum die wesentlichen Grundlagen unseres heutigen Verständnisses von Körper, Gesundheit und Krankheit gelegt – im heftigen Ringen um die besten Antworten auf die anstehenden wissenschaftlichen Fragen. Hierin begründet sich der Anspruch der Charité bis heute: wissenschaftliche Exzellenz in sozialer Verantwortung. Dass es dabei, wie im wirklichen Leben, menschlich und bisweilen allzu menschlich zuging, hat die Serie deutlich gezeigt. Damit wurde die Charité nicht als Elfenbeinturm inszeniert, sondern als eine medizinische Institution mitten im Leben.
Wenn sie über den Charité-Campus schlendern und mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Medizin und Verwaltung plaudern – was ist Ihr Eindruck? Wie wurde die Serie intern aufgenommen? Gab es eine Stärkung der Corporate Identity?
Nach meiner Wahrnehmung wurde die Serie intern überaus positiv aufgenommen. Natürlich sehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Charité die Unterschiede zwischen den Sachzwängen und notwendigen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, für die es sich heute einzustehen lohnt, und den Gegebenheiten und teilweise glanzvollen Ereignissen damals. Allerdings können viele Kolleginnen und Kollegen erst vermittelt durch die Inhalte der Serie erkennen, was die häufiger beschworene Bedeutung der Charité, ihre Rolle im ‚Golden Age‘ der deutschen Medizin Ende des 19. Jahrhunderts, ausmacht. Damit wurde die Identifikation mit der Einrichtung nachhaltig geerdet. Wichtig war für viele, dass dabei nicht nur die großen wissenschaftlichen Themen – neue chirurgische Techniken, Tuberkulosebekämpfung, Entwicklung des Diphtherieserums, Zellentheorie – eine Rolle spielten, sondern auch die praktisch- hygienischen Verhältnisse in der Krankenversorgung und vor allem die Rolle der Frau in der Medizin zur Sprache kamen. Dass all dies an der Charité seinerzeit exemplarisch ausverhandelt wurde, dürfte das Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen Einrichtung nachhaltig gestärkt haben.
Welche Rolle spielten Sie und das Medizinhistorische Museum der Charité bei den Dreharbeiten? Hatten Sie zusätzliche Aufgaben zu bewältigen? Waren Sie beratend tätig?
Ja, ich war als Medizinhistoriker beratend in die Entwicklung und Umsetzung der Serie eingebunden. Meine Tätigkeit begann bereits 2008 mit dem ersten unverbindlichen Kontakt zu den beiden Drehbuchautorinnen, Dorothee Schön und Dr. Sabine Thor-Wiedemann. Ihr Besuch seinerzeit im Medizinhistorischen Museum der Charité stand unter dem Zeichen des bevorstehenden 300jährigen Charité-Jubiläums (2010). Ihre Frage war, ob sich hierzu nicht ein Spielfilm denken ließe, der eine historisch spannende Episode der Charité beleuchten könnte. Gemeinsam haben wir uns in der Charité-Geschichte umgesehen und dabei die Zeit Ende des 19. Jahrhunderts als höchst interessant identifiziert. Aus der Spielfilmidee würde schließlich das Serienprojekt. Ich selbst habe dann neben weiteren Treffen mit den Drehbuchautorinnen das Exposé und die Drehbücher gegengelesen. Außerdem erhielt ich weiteren Besuch im Museum: Der Regisseur Sönke Wortmann und etliche Schauspieler kamen vorbei und wollten Näheres zur Zeit und zu den Persönlichkeiten wissen, deren Rollen es zu verkörpern galt. Dabei erwies es sich als sehr hilfreich, dass wir unabhängig voneinander in der Vorbereitungszeit zu den Dreharbeiten im Museum eine große Sonderausstellung zu einem der medizinischen Protagonisten zeigten: Paul Ehrlich. Hier konnten alle Beteiligten idealiter in die Welten eintauchen, die in der Serie ausgeleuchtet wurden. Die eigentlichen Dreharbeiten habe ich nur einmal, fast zu Ende, als Besucher wahrnehmen dürfen. Was schließlich zum Start der Serie und auch während der Wochen der Ausstrahlung ganz im Zentrum meiner Beschäftigung stand, war die Pressearbeit. Ich dachte erst, mit dem ersten Abend sei alles vorbei, doch das Interesse seitens der Medien und der Öffentlichkeit ging erst richtig los. Diese gewaltige Aufmerksamkeit hat übrigens auch das Museum erreicht. Im April 2017 hatten wir 90 Prozent mehr Besucher als im gleichen Monat des Vorjahres.
Der Presse kann man entnehmen, dass eine Fortsetzung der Serie geplant ist. Dieses Mal soll es aber nicht um die glorreiche Zeit der großen Nobelpreisträger gehen, sondern die Rolle der Charité in der Nazi-Zeit thematisiert werden. Für Sie als Historiker ist es eine Selbstverständlichkeit, sich auch mit unrühmlichen Kapiteln in der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ist diese Offenheit auch in anderen Bereichen der Charité vorhanden oder gibt es auch Kritiker, die durch die Fortsetzung der Serie einen Reputationsverlust für die Marke Charité fürchten?
Bislang habe ich keine Stimmen aus der Charité vernommen, die durch eine intensivere Beschäftigung mit der Charité zu Zeiten des Nationalsozialismus einen Reputationsverlust oder gar Imageschaden befürchten. Im Gegenteil, bei allen Reaktionen klang die Haltung durch, dass gerade die Beschäftigung mit diesem dunklen Kapitel notwendig und sinnvoll ist und zum ganzen Bild der Charité dazu gehört. Auch seitens des Charitévorstands wird eine entsprechende Auseinandersetzung derzeit im Projekt „Gedenkort Charité – Wissenschaft in Verantwortung“ sehr ernst genommen und mit großer Offenheit vorangetrieben. Sicherlich ist die Umsetzung dieser Thematik eine um ein Vielfaches größere Herausforderung für die Macher der Serie als die Darbietung der Entwicklungen um 1888 in der ersten Staffel. Es wird entscheidend darauf ankommen, die Ambivalenzen und „leichten Verschiebungen“, die die Verstrickung vieler medizinischer Akteure in die menschenverachtende Ideologie der Nationalsozialisten bahnten, deutlich werden zu lassen. Dabei geht es eben nicht darum, eine ganze Charité-Epoche in Bausch und Bogen zu kriminalisieren, sondern die Triebkräfte und Rahmenbedingungen sichtbar werden zu lassen, die an der Charité wie auch an anderen deutschen Universitätskliniken das Unfassbare Realität werden ließ.
Als Medizinhistoriker und Leiter des Medizinhistorischen Museums der Charité haben Sie auch viel mit Kommunikation zu tun. Sie fördern die Auseinandersetzung eines breiten Publikums mit Themen aus der Medizingeschichte. Oft gibt es einen direkten Bezug zur Charité z.B. zu Persönlichkeiten wie Rudolf Virchow, dessen Sammlung Pathologischer Präparate in Ihrem Haus in einer Dauerausstellung zu sehen ist. Gibt es Ihrer Meinung nach Schnittstellen zur Unternehmenskommunikation?
Ja, ich sehe durchaus größere Schnittmengen zwischen der Arbeit hier am Museum und in der Unternehmenskommunikation der Charité. Wir verstehen uns im Museum vor allem auch als ein Schaufenster der Charité. Hier bekommen die Besucherinnen und Besucher einen Blick hinter die Kulissen. Sie erfahren, womit sich die Medizin vor Ort in Forschung und Lehre, Diagnostik und Therapie beschäftigt. Allerdings setzten wir mit unseren Erzählungen in aller Regel in der Geschichte an, pflegen also ein historisches Argument, um den Menschen zu erklären, wie die Medizin zu ihren heutigen Fragen gekommen ist. Damit verfolgen wir zwar einen gesonderten Ansatz, zielen aber im Effekt oft auf das Gleiche: Nach innen wollen wir unseren Kolleginnen und Kollegen die Entwicklung der Charité nahebringen. Nach außen möchten wir den Menschen am Beispiel der Charité zeigen, die die Medizin zu dem geworden ist, als was man sie im Jahr 2017 wahrnimmt. Somit hoffen wir, nach innen zur Identifikationen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beizutragen und nach außen faszinierende Einblicke in eine Medizin zu vermitteln, die an der Charité einen ihrer allerersten Orte hat.
Über Thomas Schnalke:
Thomas Schnalke (* 1958) ist Professor für Medizingeschichte und Medizinische Museologie sowie Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité. Er studierte Medizin in Würzburg und Marburg. In seiner medizinhistorischen Dissertation (1987) arbeitete er zu Geschichte und Technik dermatologischer Wachsbilder (Moulagen). Ab 1988 war er als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Erlangen-Nürnberg tätig. 1993 habilitierte er sich mit einer Studie zur städtischen Medizin im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts. Mit seiner Berufung nach Berlin 2000 begann er sich intensiver mit anatomischen und pathologisch-anatomischen Präparatesammlungen (Geschichte, Präsentation und ethische Dimensionen) sowie allgemeiner mit materialen Aspekten in der Medizin- und Wissenschaftsgeschichte auseinanderzusetzen. Am Museum konnte er zahlreiche Ausstellungen zu medizinhistorischen Themen sowie insbesondere im Grenzbereich zwischen Kunst und Medizin realisieren.
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