Chefvisite bei Markus Gautschi, Präsident der Schweiz. Vereinigung der Spitaldirektoren
Ich kenne einige Klinikdirektoren in Deutschland, die zuvor in der Schweiz in leitender Funktion tätig waren. Spätestens wenn sie in einer Krisensituation von den Zeitungen und TV-Sendern öffentlich hingerichtet werden, schwärmen sie von den angeblich viel besseren Bedingungen in der Schweizer Klinik- und Medienwelt. Können Sie das nachvollziehen?
Ich kenne den Stil der deutschen Medien zu wenig, um tatsächlich vergleichen zu können. Auch in der Schweiz geht der Trend zu reißerischer Berichterstattung. Man schießt sich auf Personen ein und legt wenig Wert auf eine differenzierte Betrachtung. Das liegt auch daran, dass gewinnt, wer zuerst berichtet. Seriöse Recherche bleibt dabei leider auf der Strecke.
Auf die berühmte Schweizer Diskretion kann man sich dabei auch nicht verlassen. Auch bei uns werden interne kritische Themen durchaus in die Öffentlichkeit gebracht. Vielleicht passiert das etwas verdeckter: Man weiß fast nie, wo die undichte Stelle war.
Ich selbst habe bereits Fälle erlebt, wo in den Medien die Hölle los war. Die Fusion zweier Spitäler zum Beispiel. Oder die Schließung einer Abteilung für Geburtshilfe. Es ist ja auch nachvollziehbar, dass das die Öffentlichkeit bewegt. Schließlich geht es dabei um Arbeitsplätze. Meine Erfahrung: Ruhe bewahren. Nicht jeden Punkt aufgreifen und nicht in den Rechtfertigungsmodus geraten. Dann setzt sich eine Spirale in Gang, die oft nur schwer zu stoppen ist.
Kliniksterben, Fachkräftemangel, Investitionsstau und eine immer noch schwierige Krankenhausfinanzierung – das sind einige der Probleme, die die Krankenhäuser in Deutschland umtreiben. Hat die Schweiz mit ähnlichen Themen zu kämpfen oder wo liegen bei Ihnen im Land die besonderen Herausforderungen?
Zum Glück sind wir noch nicht ganz so weit. Fallkostenpauschalen, die DRGs, wurden bei uns erst 2012 eingeführt. Die Fallzahlen sind in den letzten Jahren stetig gestiegen. Dadurch konnte immer noch befriedigend gewirtschaftet werden. Letztes Jahr war die Anzahl der stationären Fälle erstmals rückläufig. Hinzu kommt, dass es seit 2018 eine Regelung gibt, die uns zwingt, gewisse Behandlungen ambulant statt stationär durchzuführen. Das hat zu einem weiteren Rückgang der stationären Fälle geführt. In Folge ist der EBITDA – also der Gewinn ohne Berücksichtigung von Zinsen, Steuern, Abschreibungen und sonstigen Finanzierungsaufwendungen – gesunken.
Einige Kliniken kommen nun an ihre Grenzen und müssten eigentlich geschlossen werden. Noch stehen diese Kliniken aber unter dem Schutz der Kantone. Über die so genannten gemeinwirtschaftlichen Leistungen erhalten die Kliniken zusätzlich Geld, z.B. für die Ausbildung der Assistenzärzte oder die Notfallmedizin. Diese Leistungen müssen nicht über DRG-Erlöse finanziert werden. Das ist zum Teil sinnvoll. Zum Beispiel bei einem Ort, der im Gebirge liegt. Manchmal lässt sich die nächste größere Klinik nur über einen Pass erreichen. Im Winter, bei Schnee, wird es dann schwierig mit der Verlegung. Da ist es schon gut, wenn auch kleinere Krankenhäuser für die wohnortnahe Versorgung erhalten werden. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch Wettbewerbsverzerrend, wenn jedes Spital in unterschiedlichem Umfang vom Kanton unterstützt wird, vorallem dort, wo es nicht um die Versorgungssicherheit geht.
Generell ist der Level der Krankenversorgung in der Schweiz noch sehr hoch. Die Ärzte haben noch Zeit bei der Behandlung der Patienten in der Ambulanz. Es ist noch keine Fließbandbehandlung, wie es immer wieder in Deutschland kritisiert wird. Für Untersuchungen und auch Gespräche ist mehr Zeit vorgesehen.
Aber der Druck wird immer grösser: Krankenkassenprämien und Steuerbelastung steigen und das nehmen die Menschen nicht mehr klaglos hin. Kommt es dann aber zu Abstimmungen über die Schließung von Klinikstandorten, spricht sich in der Regel ein hoher Anteil der Bevölkerung für den Erhalt aus. Das ist fast ein bisschen schizophren. Wo ist die Schmerzgrenze erreicht? Die gesamten Gesundheitskosten in der Schweiz liegen heute bei 80 Milliarden Franken. Es gibt Stimmen, die sagen, dass Maßnahmen erst bei 120 Milliarden Franken kommen werden. Dazwischen liegt wohl die Wahrheit. Der Standard in unserem Land ist generell sehr hoch. Hier fährt keiner einen Standard-VW ohne Extras, in anderen europäischen Ländern dagegen viele und die sind sogar noch alt und verbeult. Auch im Gesundheitswesen sind die Ansprüche dementsprechend hoch. Ich bin aber davon überzeugt, dass man 10 – 15 Prozent der Kosten sparen könnte, ohne dass sich die Versorgung verschlechtern würde.
Auch die Schweiz hat seit einigen Jahren einen Wettbewerb im Klinikbereich. Patienten haben das freie Wahlrecht, wenn sie einen Krankenhausaufenthalt benötigen. Wie hoch schätzen Sie den Stellenwert von Marketing und PR in den Schweizer Spitälern ein?
Der Wettbewerbsdruck nimmt eindeutig zu. Die Konkurrenz wird grösser und härter. Jedes Spital muss sich rausputzen und sich im besten Kleid zeigen. Gute Arbeit alleine reicht nicht mehr aus.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass sich in einer Broschüre nicht jeder Arzt mit seinem gesamten Behandlungsspektrum darstellen muss. Wichtiger ist es, als Spital einen einheitlichen Außenauftritt zu haben. Ein zentraler Aspekt ist der gute Kontakt zu den Einweisern. Ich wundere mich immer wieder, wie schlecht wir über unsere Einweiser Bescheid wissen: Wir müssen ihre Bedürfnisse und Erwartungen verstehen, um sie von unserem Haus überzeugen zu können.
Wie sind die Spitäler in Unternehmenskommunikation, PR und Marketing personell aufgestellt?
Die meisten Spitäler haben eine eigene Stelle oder Abteilung für Kommunikation. Hinzu kommt teilweise auch die Unterstützung durch externe Berater. Meist sind die internen Positionen besetzt mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die die höhere Fachschule oder Fachhochschule abgeschlossen haben.
Ich finde es gut, wenn der Kommunikationsverantwortliche vorher nicht im Gesundheitswesen tätig war. Dann fällt es ihm leichter, komplexe medizinische Themen für den Laien verständlich aufzubereiten. Wichtig ist auch, dass man in solchen Positionen keine Angst vor Hierachien hat, denn es gehört dazu, auch mal Nein zu sagen, wenn sich ein Chefarzt eine Pressemitteilung oder einen Flyer wünscht, die eigentlich keinen Sinn machen.
Viele deutsche Kliniken setzen in Ausnahmesituation wie Krisen- oder Veränderungskommunikation auf die Unterstützung externer Experten. Bemüht man Google findet man in der Schweiz deutlich weniger Agenturen und Berater, die sich auf Kommunikation für Spitäler spezialisiert haben. Warum ist Ihrer Meinung nach der Bedarf hier offenbar geringer?
Echte Krisen kommen zum Glück in unseren Spitälern wenig vor. Viele lassen sich aber schon entsprechend von Experten beraten. Der Markt ist aber wahrscheinlich zu klein, um sich als Kommunikationsexperte oder PR-Agentur nur auf Krankenhauskommunikation zu konzentrieren.
Kein Krankenhaus ist vor einer Krise sicher. Hygieneprobleme, Behandlungsfehler, Patiententötungen – das alles kann auch in Schweizer Spitälern jederzeit passieren. In Deutschland beobachte ich immer wieder, dass sich meine Kunden mit Krisenkommunikation erst dann auseinandersetzen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.Bereiten sich die Spitäler in der Schweiz besser auf mögliche Krisen vor?
Die große Mehrheit der Spitäler ist gut vorbereitet, und hat z.B. auch Checklisten für die Krisenkommunikation. Zudem ist natürlich die Risikovermeidung und -minimierung im Vorfeld sehr wichtig. Krisenkommunikationsworkshops, um sich für den Fall der Fälle bereits an Kamera und Mikrofon in einer Stresssituation gewöhnt zu haben, nehmen m.e. eher wenige Spitaldirektoren in Anspruch.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede in der Medienlandschaft, wenn man Deutschland und die Schweiz vergleicht?
Ein Vorteil der Schweizer Kleinräumigkeit ist, dass wir noch viele kleine Zeitungen haben. Da kennt man den Redakteur, oder Redaktor wie wir sagen, noch persönlich. Man begegnet sich immer wieder mal auf der Straße oder beim Einkaufen. Und man greift einfach zum Telefonhörer, wenn es etwas zu berichten gibt. Das hilft dann auch zu einem entspannten Zugang in Krisenzeiten.
Generell spielen sich viele Themen regional ab. Wenn NZZ oder Tagesanzeiger anrufen, muss es schon ziemlich viel Krawall gegeben haben.
Geschäftsführer von Klinken wissen heutzutage um die Bedeutung der Internen Kommunikation und versuchen, ihre Mitarbeiter gerade bei Veränderungsprozessen gut zu informieren und mitzunehmen. Häufig sind sie aber sehr gefrustet, denn obwohl sie sich bemühen, offen und regelmäßig zu kommunizieren, beklagen die Mitarbeiter immer wieder die angeblich schlechte Informationspolitik. Ist Ihnen dieses Phänomen auch bekannt oder gelingt die Interne Kommunikation in der Schweiz besser?
Dieses Problem kennen wir durchaus auch. Manchmal ist weniger mehr. Wir leiden ja generell eher an Informationsüberflutung – auch am Arbeitsplatz. Wichtig ist es, die Mitarbeiter auch darauf aufmerksam zu machen, dass sie auch eine Informations-Holschuld haben. Das hängt immer vom Engagement des einzelnen ab. In meiner Klinik gibt es z.B. monatlich ein so genanntes „Inside“. Das sind ca. drei bis fünf Seiten, je nach Bedarf digital oder auch ausgedruckt. Gelesen wird das nur von etwa einem Drittel der Mitarbeiter. Zudem veranstalten wir vierteljährlich je ein Kader und Mitarbeiterforum, wo im gegensatz zum Inside auch Diskussionen stattfinden können. Dennoch finde ich es wichtig, bei Veränderungen einiges schriftlich festzuhalten, damit es keine Interpretationsspielräume gibt. Darauf kann man dann auch verweisen. Das hilft sicher, dass es keine Gerüchte gibt.
Über Markus Gautschi:
Markus Gautschi ist seit 2013 Präsident der Schweizerischen Vereinigung der Spitaldirektorinnen und Spitaldirektoren. Seit 2017 ist er CEO der Zürcher RehaZentren mit Standorten in Wald und Davos. Der 57-jährige kennt die Schweizer Klinikwelt im Detail: In den vergangenenen 23 Jahren ist er als Direktor in verschiedenen Kliniken der Somatik, der Psychiatrie und der Rehabilitation tätig gewesen. Der 57-Jährige absolvierte ein Fachhochschulstudium und spezialisierte sich mit einem Nachdiplomstudium Spitalmanagement an der EMBA Uni Zürich ergänzte.
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Bild: Zürcher RehaZentren, Wald