Markenstrategie für Kliniken – Experteninterview mit Christopher Wünsche von Truffle Bay
Herr Wünsche, Sie sind seit mehr als 20 Jahren in der strategischen Markenberatung tätig und betreuen mit Ihrem Beratungsunternehmen Truffle Bay u. a. große Kunden wie Bilfinger, Vonovia oder BMW. Auch immer mehr Kliniken fangen an, sich mit dem Thema Markenbildung intensiver auseinanderzusetzen. Warum ist es auch für Kliniken sinnvoll, sich mit Markenstrategie und -positionierung zu beschäftigen?
Mit einer guten Marke verbinden sich Vertrauen und Glaubwürdigkeit, eine konstant hohe Leistungsqualität sowie ein einzigartiges Nutzenversprechen. Marken kommen in Wirtschaft und Gesellschaft immer dann ins Spiel, wenn Menschen aus verschiedenen Alternativen auswählen können. Das ist bei Smartphones nicht anders als bei Laufschuhen. Und auch welcher sozialen Hilfsorganisation wir unser Geld spenden und welcher nicht, macht sich vielerorts an der (Marken-) Mission der Organisation oder ihrem Markenimage fest.
Die Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen von Markenbildung lassen sich auch für Gesundheitsleistungen und Kliniken nutzbar machen: Denn wo wir früher nur bei Bekannten und Freunden nach einem guten Zahnarzt o.Ä. gefragt haben, so ist heute das Internet für uns erste Quelle der Information, der ersten Orientierung und damit der ersten Vorauswahl, die wir dann weiter recherchieren und validieren – sei es durch persönliche Gespräche oder Bewertungsportale.
Zudem steht im Fokus vieler Häuser neben Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen vor allem die Spezialisierung und Profilierung für bestimmte Leistungen und die verstärkte Wahrnehmung der Patienten auch als „Kunden“. Im Zuge dieser stärkeren Wettbewerbsorientierung wird der Patient zum erfolgsentscheidenden Faktor. Und eben aufgrund dieser Wandlung der Markt- und Kundenstrukturen gilt es für Kliniken, Patientenpräferenzen zu schaffen, die sie im Bedarfsfall zu einem bevorzugten Krankenhaus für den Patienten machen.
Markenbildung im Krankenhaussektor ist also vielerorts keine Frage mehr des “Ob“, sondern des „Wie“. Sich als Marke zu positionieren, hilft Kliniken im Wettbewerb zu bestehen, ihre Existenz zu sichern und sich nachhaltig zu verbessern. Dies gilt nicht zuletzt auch wegen der zunehmenden Kommerzialisierung im Krankenhausmarkt – bis hin zur Akquisition ganzer Klinikketten.
Auch wenn Markenstrategie im Klinikbereich noch in den Kinderschuhen steckt, haben die meisten Krankenhäuser bereits Leitbilder für sich formuliert. Ich persönlich halte diese Leitbilder zwar häufig für sinnvoll in der internen Kommunikation und als Instrument der Mitarbeiterführung, finde sie aber meist zu austauschbar, um sie sinnvoll für die externe Kommunikation zu nutzen. Was denken Sie über die Bedeutung von Leitbildern für Krankenhäuser?
Ob Leitbild für Dax-30-Unternehmen, Konsumgüterhersteller, Dienstleistungsunternehmen oder Krankenhaus – Leitbilder haben meist das gleiche Ziel: Sie sollen Führungskräften und Mitarbeitern Orientierung stiften – zudem in Zeiten der Veränderung. Sie sollen ein Gemeinschaftsgefühl prägen, gemeinsame Spielregeln begründen und damit die Zusammenarbeit einerseits und die Identifikation der Mitarbeiter fördern und festigen. Gegen Unternehmensleitbilder ist im Grundsatz also nichts einzuwenden.
Meist sind Leitbilder jedoch inhaltlich austauschbar, politisch korrekt und damit schwammig formuliert, werden mit großem Aufwand erarbeitet und werden dann mit „großem Aufwand“ ignoriert bzw. bleiben belanglos für das tägliche Tun. Das ist die eine Beobachtung. Sie hat zum einen damit zu tun, dass kein Plan besteht, was nun mit dem Leitbild zu tun ist und zum anderen, dass die Inhalte nicht in die tägliche Unternehmenspraxis – zum Beispiel in Führung und Personalarbeit übersetzt und damit relevant für den Arbeitsalltag gemacht werden. Schon Erich Kästner sagte zu Recht „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“
Die zweite Beobachtung ist, dass Leitbilder nicht vom Kunden her gedacht und inhaltlich formuliert werden. Ihr Duktus ist eher von innen nach außen und nicht von außen nach innen gedacht. Wie soll uns derjenige oder diejenige Person wahrnehmen, für die wir unsere Leistung erbringen. Was machen wir besonders gut, was besser als der Wettbewerb. Eine gute Marke beantwortet daher immer drei Fragen – und zwar aus der Kundenperspektive: Was? (Leistung), Wie? (Werte) und vor allem Warum (Mission/Markenversprechen)!
Was können Krankenhäuser bei der Entwicklung von Marketing-Strategien aus anderen Branchen lernen?
Zunächst möchte ich noch eine wichtige Unterscheidung in unseren Gedankenaustausch einführen: Marke und Marketing sind nicht das Gleiche, werden meist aber in einem Atemzug genannt und quasi als Äquivalent verstanden. Die Markenidentität oder -positionierung beschreibt im Kern meine Leistung: Was, wie und warum. Am besten ein Spitzenleistung, die sich von anderen abhebt. Erst wenn die Marke definiert ist, kann ich über Marketing nachdenken: Welche Instrumente setze ich ein, um meine Leistung auf dem Markt zu vermarkten: also mit den 4 P’s, die jeder BWL-Student aus dem Grundstudium kennt: Product, Price, Promotion und Place.
Es ist aus meiner Sicht zudem wichtig, in den Krankenhäusern ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass man zwar mit einem der vielleicht wertvollsten Güter – der Gesundheit nämlich zu tun hat – dass man aber gleichzeitig heute mehr denn je im Wettbewerb zueinander steht. Das erfordert Bekanntheit, Profilierung, Präferenzbildung bis hin zur Bindung von Patienten, in dem Sinne, dass Sie so versorgt und betreut werden, dass sie wiederkommen würden und dies auch zum Ausdruck bringen (als Promotoren, wie wir im Fachjargon sagen).
Und noch eine Beobachtung aus der Praxis: eine Marke ist nicht gleichzusetzen mit einem Logo oder Werbung. Markenmechanismen wirken nicht nur bei Waschmittel. Vielerorts wird aber Markentechnik genau so verortet. Und da schwingt gleich mit: unanständig, unethisch, nicht ernst genug, nur auf Geld und Profit ausgerichtet. Markentechnik ist aber von der menschlichen Wahrnehmung abgeleitet und berücksichtigt ihre Gesetzmäßigkeiten: der Mensch ist nämlich „denkfaul“, er will nicht ständig suchen und entscheiden müssen. Sondern er ist ein „Gewohnheitstier“, das sich oft für das Gleiche entscheidet, was es kennt oder vertraut. Und Marken sind ein Speicher von Bekanntheit und Vertrauen – insofern machen uns Marken das Leben leichter, noch dazu in Zeiten gnadenloser Informationsüberflutung.
Denn Markenpositionierungen sind hochkomprimierte Identitätsaussagen: BMW steht für Freude, Hilti für bessere Performance und Lebensdauer seiner Profiwerkzeuge und FEDEX schlicht für On-time, also Pünktlichkeit.
Gute Markenpositionierungen adressieren ein relevantes Nutzenversprechen, möglichst eines, was die Wettbewerber so nicht haben. Und dieses Versprechen muss eingehalten werden, immer wieder, Tag für Tag, über Jahre, so dass die Verlässlichkeit und Vertrautheit einer Marke entstehen kann. Daher muss alles auf die Marke ausgerichtet sein, was das Unternehmen, hier die Klinik tut: Die Leistungen, die Prozesse zur Erbringung der Leistung, das Verhalten der Leitung und der Mitarbeiter bis hin zu Kommunikation und Design. Sie sehen – ein komplexer Prozess, der das volle Commitment der Führung und der Mitarbeiter erfordert.
Ich hatte das Glück, vor einigen Jahren in einer großen Klinik mit Ihnen in einem Markenbildungsprozess zusammenzuarbeiten. Damals ist es uns nicht gelungen, die in einem langwierigen Prozess entwickelte Markenpositionierung langfristig zu implementieren. Warum ist es Ihrer Meinung nach für Krankenhäuser schwieriger, die Ergebnisse eines Markenprozesses erfolgreich umzusetzen und als eine Art strategische Leitplanke für Unternehmensentscheidungen, Kommunikationsmaßnahmen etc. zu nutzen?
Das tut mir sehr leid zu hören, denn man steckt ja sehr viel Energie und Zeit in einen solchen Prozess. Ich denke, dass die Gründe eine Sammlung des oben Genannten sein könnten…Wahrscheinlich gab es keinen Plan und auch keinen Willen, keine Zeit und kein Geld, sich adäquat mit der Umsetzung der erarbeiteten Positionierung zu beschäftigen. Die Königsdisziplin für Markenerfolg ist die Umsetzung – Tag für Tag, Jahr für Jahr. Das ist schon für viele Unternehmen sehr schwierig und oft scheitern sie auch daran… Denn es wird nicht genügend Zeit und Geld investiert. Ich vermute, dass es für Kliniken vielerorts noch schwieriger als für gewinn-orientierte Unternehmen ist, weil das Thema Marke für viele natürlich fachfremd ist und es möglicherweise auch als unpassend für Gesundheitsleistungen empfunden wird.
Über Christopher Wünsche:
Christopher Wünsche ist Gründer und Managing Partner von Truffle Bay Management Consulting in München. Seit über 20 Jahren berät er Unternehmen zu Markenstrategie & -positionierung, Kommunikationsstrategie und Change-Management. Vor der Gründung des Unternehmens in 2009 war er in Führungspositionen mehrerer Marken- und Kommunikationsberatungen tätig, u. a. Citigate Demuth, Deekeling Arndt Adivsors und zuletzt als Managing Director von Interbrand München. An der Berliner Universität der Künste studierte er Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation.
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