Kopf in den Sand war gestern – ein Fachgespräch zur Krisenkommunikation im KU Gesundheitsmanagement
KU Gesundheitsmanagement hat mich für die Ausgabe 9/2017 zum Thema Krisenkommunikation in Kliniken interviewt. Ich danke dem Verlag für die Erlaubnis, dieses Fachgespräch auch in der PR-Ambulanz zu veröffentlichen.
Zentraler Bestandteil des Krisenmanagements ist die Krisenkommunikation. Kommunikationsregeln, die in der Theorie noch einfach klingen, mutieren im Ernstfall zu potenziellen Fallstricken. Warum es trotzdem nichts nutzt, den Kopf in den Sand zu stecken und sich Krisenmanagement nicht nur auf die Krisensituation selbst beschränken sollte, erzählte uns Kerstin Endele, Expertin für Gesundheitskommunikation.
Betrachtet man die mediale Berichterstattung, vergeht anscheinend kaum eine Woche, in der nicht von krisenhaften Zuständen in deutschen Krankenhäusern berichtet wird. Seien es Mängel bei der Hygiene, lückenhafte IT-Sicherheit oder die Missetaten einzelner Mitarbeiter. Schnell wird dann der Begriff „Skandal“ in den Mund genommen. So häufig die negativen Schlagzeilen, so häufig auch die Kritik am Kommunikationsverhalten. Medienvertreter und Öffentlichkeit fühlen sich zu spät, zu knapp informiert und der Verdacht der „Verschleierungstaktik“ kommt auf.
Frau Endele, sind die Kliniken auf solche Krisensituationen einfach nicht genügend vorbereitet?
Vergleicht man die Krisenkommunikation von Kliniken mit der in anderen Branchen, steckt sie tatsächlich noch in den Kinderschuhen. Dabei ist das Risiko von Krankenhäusern, in eine kommunikative Krise zu schlittern, sogar besonders hoch: Bei einem Krankenhaus schauen Medien und Öffentlichkeit umso kritischer hin, denn hier geht es potenziell immer um die Gesundheit von Menschen, um Leben und Tod. Wer in so einer Krisensituation nicht die richtigen Worte findet, riskiert einen Imageschaden, der jahrelang nachwirkt. Zusätzlich droht der Verlust von Glaubwürdigkeit und Vertrauen – für eine Klinik eine untragbare Situation. Wenn Sie das verhindern wollen, brauchen Sie ein Kommunikationskonzept, das aus Analyse, Strategie und der Definition operativer Maßnahmen besteht, und Sie sicher durch diese schwierige Zeit navigiert.
Die hauseigene PR-Abteilung ist durch das riesige Medieninteresse meist so mit dem Tagesgeschäft ausgelastet, dass für die Erarbeitung dieses Konzeptes und die Durchführung strategischer Maßnahmen keine Zeit bleibt. Natürlich wäre es klug, sich bereits im Vorfeld mit möglichen Krisensituationen, den Zuständigkeiten im Krisenfall und potenziellen Abläufen auseinanderzusetzen. Leider muss ich immer noch feststellen, dass mein Telefon vor allem dann klingelt, wenn die ersten negativen Schlagzeilen bereits geschrieben sind.
Was sind denn Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Fehler in der Kommunikation, die in Krisenfällen gemacht werden?
Mangelnde Vorbereitung ist sicher einer dieser Fehler. Und die Vogel-Strauß-Politik: Kopf in den Sand stecken und darauf hoffen, dass die Krise vorbei gehen wird, ohne dass jemand etwas davon mitbekommt. Das ist aber extrem unwahrscheinlich, schon allein deshalb, weil in einer Klinik zumeist viele Menschen arbeiten, viele Patienten liegen, viele Besucher täglich ein und ausgehen. Wenn etwas schief läuft, bekommt das in der Regel auch jemand mit. Wird man aber erst aktiv, wenn der erste Journalist anruft und nachfragt, hat man von Anfang an das Heft aus der Hand gegeben und stolpert, getrieben vom Interesse der Öffentlichkeit und den Nachfragen der Medien, in der Kommuni-kation nur noch hinterher. Das ist fatal, denn man sollte zu jedem Zeitpunkt versuchen, die Kommunikationshoheit zu behalten. Wenn man dann redet, sollte man auf jeden Fall bei der Wahrheit bleiben. Es ist absolut okay, erst nur wenige Botschaften zu haben und die Hintergründe einer Krise zunächst selbst einmal zu ermitteln, bevor man etwas dazu sagen kann. Aber auch das ist eben eine Botschaft, vielleicht sogar eine der wichtigsten: „Wir sind dabei, die Vorgänge restlos aufzuklären und werden dann entsprechende Maßnahmen ergreifen, damit sich dieses Ereignis nicht wiederholen wird.“
Gibt es also auch Fälle, in denen es sinnvoller ist, Informationen zurückzuhalten?
Ehrlichkeit halte ich für unabdingbar. Wenn man nicht die Wahrheit sagt und das kommt heraus, ist jegliches Vertrauen dahin. Aber nicht immer kann und muss man alle Details offen legen. Manchmal ist das ja auch gar nicht möglich. Laufen zum Beispiel staatsanwaltliche Ermittlungen, kann man nicht einfach reden. Geht es um Patienten, muss man natürlich auch die Schweigepflicht beachten. Stehen Mitarbeiter unter Beschuss, gilt es auch, deren Persönlichkeitsrechte zu schützen. Man muss also genau abwägen, was man zu welchem Zeitpunkt sagen kann und möchte. Absolute Transparenz klingt zwar erstrebenswert, ist aber in der Realität oft Utopie.
Sie haben die „Kommunikationshoheit“ angesprochen. Zahlreiche Experten plädieren in der Krisenkommunikation für einen proaktiven Ansatz. Das heißt, den Medien zuvor zu kommen und aktiv zu informieren. Kann ein solcher Ansatz nicht auch schlafende Hunde wecken?
Es wäre sicher unklug, bei jedem Hygieneproblem, jedem Behandlungsfehler, jedem ungewöhnlichen Ereignis in der Klinik gleich eine Pressemitteilung herauszugeben. Sinnvoll ist es aber, sich dieser Probleme und ihrer potenziellen Sprengkraft zunächst einmal bewusst zu sein, im Hintergrund alles vorzubereiten und dann zu entscheiden, ob und zu welchem Zeitpunkt man damit an die Öffentlichkeit geht. Ich habe so einige Krisen in Kliniken erlebt und glaube, dass es ein ganz entscheidender Vorteil im weiteren Verlauf einer Krise ist, wenn man die Umstände selbst offengelegt hat.
Jede Krise ist ja quasi „einzigartig“, kann es überhaupt einen Masterplan für jeden Krisenfall geben?
Jede Krise erfordert ein individuelles Vorgehen, und ich rate dringend, sich so früh wie möglich damit zu befassen, die Situation zu analysieren, die Strategie zu entwickeln und anschließend operative Maßnahmen und auch die zugehörigen Verantwortlichkeiten festzulegen. Das mache ich zum Beispiel mit meinen Kunden meist in Form eines vier-bis achtstündigen Workshops, gemeinsam mit dem Krisenstab. Es fällt nicht immer leicht, sich in einer solchen Situation, wenn es ja meist schon brennt, diese Zeit zu nehmen. Ich halte es aber für unerlässlich, da man ansonsten zum Gejagten wird und ohne jede Strategie immer nur reagiert statt zu agieren.
Die meisten Krisen verlaufen aber nach ähnlichen Mustern. Daher kann man vieles auch im Vorfeld festlegen: Wer sitzt im Fall der Fälle im Krisenstab? Wer redet mit den Medien? Wie funktionieren Alarmketten, wenn etwas im Haus passiert? Auch praktische Arbeit sollte man bereits erledigen, beispielsweise kann es sinnvoll sein, im eigenen Webauftritt Dark Sites anzulegen. Und nicht zuletzt: Man kann und sollte üben. Sind Sie als Geschäftsführer einer Klinik schon mal in eine Pressekonferenz gegangen, in der Sie das Scheinwerferlicht und Blitzlichtgewitter von 30 Kamerateams und Fotografen erwartet hat, weil in Ihrer Klinik eine Krankenschwester Patienten getötet hat? Das ist eine Ausnahmesituation, in der es jedem schwerfällt, authentisch und ruhig zu bleiben und die richtigen Worte zu finden. Ein entsprechendes Kameratraining im Vorfeld kann da sehr hilfreich sein. Manchmal lohnt es sich auch, den gesamten Ablauf in einer Krise einmal praktisch durchzuspielen. In diesem Fall arbeite ich gern mit Seminarschau-spielern zusammen, damit das Szenario so realistisch wie möglich ist. Erst wenn Sie das Adrenalin in den Adern spüren, können Sie für die künftige, „richtige“ Krise aus der Vorbereitung lernen. Alles andere ist zwar auch hilfreich, bleibt aber graue Theorie.
Im Falle einer Krise zahlt sich ein gutes Netzwerk aus, wie schaffe ich es als Krankenhaus, einen guten Draht zu den Medien aufzubauen?
Ein gutes Netzwerk ist in der Tat einer der entscheidenden Faktoren in einer Krisensituation. Hat man in der Vergangenheit gut zusammengearbeitet, dann wird man sich auch in der Krise aufeinander verlassen können. Das gilt für beide Seiten: Der Journalist weiß, dass er mit zuverlässigen und belastbaren Informationen rechnen kann, sobald es etwas zu sagen gibt. Die Klinik weiß, dass man einigermaßen fair berichtet und, selbst wenn in der Krise die Wogen hochschlagen, immer auch in der Pressestelle anfragt und die Sichtweise der Klinik berücksichtigt. Lernen Sie die Journalisten persönlich kennen, die in den Redaktionen für die Gesundheits-und Krankenhausthemen zuständig sind. Tauschen Sie sich regelmäßig aus – ich bin zum Beispiel ein Freund von quartalsweisen Pressehintergrund-gesprächen. Und setzen Sie sich damit auseinander, wie Medien arbeiten und was Sie tun können, um dieser Arbeitsweise entgegenzukommen. Dann klappt es auch mit der guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit.
Nicht immer ist eine sofortige Pressekonferenz der „Königsweg“. Wie entscheide ich, welcher Kommunikationskanal für welche Krisensituation geeignet ist?
Das muss man situativ entscheiden. Ist das Medieninteresse entsprechend groß, lässt es sich ohne Pressekonferenz oft gar nicht bewältigen, weil man sich vor Nachfragen und Interviewanfragen sonst gar nicht retten kann. In anderen Fällen reicht vielleicht auch ein erstes Statement auf der eigenen Website und man gewinnt Zeit, um sich selbst mit dem Thema erst einmal in allen Details vertraut zu machen. Es gibt aus meiner Sicht nur eine Regel, die man nicht brechen sollte: Erst die Mitarbeiter, dann die Medien. Vor der Pressekonferenz kommt daher auf jeden Fall die Mitarbeiterversammlung. Oder wenigstens die Meldung im Intranet, wenn die Zeit drängt.
Mitarbeiter könnten im Falle einer Krise potenzielle Multiplikatoren darstellen. Macht es Sinn, auch die Mitarbeiter hinsichtlich einer angemessenen Krisenkommunikation zu schulen?
Sprechen sollten in der Krise nur wenige: der Pressesprecher, der Vorstand, vielleicht der Ärztliche Direktor. In einigen Fällen kann es sinnvoll sein, dass eine Führungskraft aus der zweiten Führungsebene beispielsweise Interviews gibt. Das könnte der Chefarzt sein, in dessen Bereich es zu einer Unregelmäßigkeit kam, oder die Pflegeleitung. Für diese Mitarbeiter ist ein Medien-und Kameratraining hervorragend geeignet. Aber auch für die anderen Mitarbeiter kann es sinnvoll sein, sich mit dem Thema Krisenkommunikation zu beschäftigen. Denn in der Krise kommt es eventuell auch auf den Stationen zu Unruhe und Störungen in den gewohnten Abläufen: Patienten stellen besorgte Fragen. Oder Medienvertreter versuchen, sich Zutritt zu verschaffen, um zum Beispiel einen prominenten Patienten zu fotografieren. Und nicht zuletzt sollten Mitarbeiter ein Gefühl dafür bekommen, wie hoch das Krisenpotenzial eines Problems ist, das sich in ihrem Bereich ereignet. Denn in diesem Fall liegt es in ihrer Verantwortung, die Klinikleitung umgehend darüber zu informieren.
Viele Klinikleiter scheuen sich, Social Media als Kommunikationskanal in der Krisenkommunikation einzusetzen? Ist die Angst vor dem berühmt-berüchtigten „Shitstorm“ gerechtfertigt?
Mit der zunehmenden Bedeutung von Social Media hat die Krisenkommunikation in der Tat eine neue Dimension bekommen. Die Kommunikation insgesamt ist schneller geworden. Es gibt keinen Redaktionsschluss mehr. Rund um die Uhr müssen Informationen fließen. Das stellt die Kommunikationsabteilungen – auch von Kliniken – vor ganz neue Herausforderungen. Auf der anderen Seite bieten Twitter, Facebook und Co auch ganz neue Chancen: Man kann direkt mit seinen Zielgruppen in den Dialog treten, ohne auf Medien als Mittler angewiesen zu sein. Natürlich kann es in der Krise auch zu einem Shitstorm kommen. Diese Gefahr besteht aber auch und gerade dann, wenn man beispielsweise die klinikeigene Facebook-Seite in der Krise ruhen lässt. Denn die User werden ja trotzdem ihre Meinung dort kundtun. Man wäre daher schlecht beraten, wenn man die Möglichkeit, seine Sicht dort darzustellen, verstreichen lässt.
Inwiefern kann das Internet auch genutzt werden, um potenzielle Krisenthemen aufzuspüren?
Wer das Internet beobachtet – oder von entsprechenden Dienstleistern beobachten lässt – bekommt ein Gefühl dafür, welche Themen gerade auf der Agenda der Medien stehen. In der Krisenkommunikation von Kliniken halte ich das aber für zweitrangig, denn zumeist sind die Krisen keine „Trendthemen“, sondern entwickeln sich aus individuellen Ereignissen in einem Haus. Klinikbewertungsportale sollte man dagegen schon regelmäßig screenen. So kann man unter Umständen evidente Probleme in der Krankenversorgung erkennen und beheben. Oder auch mit einzelnen unzufriedenen Patienten, wenn sie denn identifizierbar sind, das direkte Gespräch suchen. Das ist allerdings in meinen Augen eine Aufgabe, die eher dem Qualitätsmanagement als der Unternehmenskommunikation zuzuordnen ist.
Im Falle des Amoklaufs am und im Olympia-Einkaufzentrum in München im vergangenen Jahr wurde die Öffentlichkeitsarbeit der Münchner Polizei sehr gelobt. Was können Kliniken in der Krisenkommunikation aus solchen Fällen lernen?
Die Münchner Polizei hatte zu jedem Zeitpunkt – vor allem dank Twitter – die Kommunikationshoheit. Es herrschte große Verunsicherung. Jede Menge Falschmeldungen kursierten. Durch den bereits im Vorfeld gut etablierten und bekannten Twitter-Account wussten Medien und auch die breite Bevölkerung, wo sie sich sachlich und inhaltlich korrekt informieren konnten. Was kann man also daraus lernen? Nerven behalten, stets nur inhaltlich gesicherte Fakten kommunizieren, sich nicht an Spekulationen und Interpretationen beteiligen und schon im Vorfeld dafür sorgen, dass ein entsprechender Kommunikationskanal zur Verfügung steht und bekannt ist.
Nach der Krise ist vor der Krise. Was heißt das konkret?
Am Ende der Krisenkommunikation steht das Debriefing. Was ist gut gelaufen? Was kann man beim nächsten Mal besser machen? Die nächste Krise kommt bestimmt und man sollte die Gelegenheit nutzen und sich stetig in seiner Krisenkommunikation verbessern.