Chefvisite bei Prof. Michael Fantini, Geschäftsführender Direktor KRH Klinikum Neustadt am Rübenberge
Immer mehr Ärzte verlassen den klassischen Weg, lassen die Arbeit am Patienten hinter sich und übernehmen Management-Aufgaben in Kliniken. Wird dieser Veränderung des traditionellen Berufsbildes inzwischen im Medizin-Studium Rechnung getragen?
Nein, leider nicht. Das Medizinstudium ist für die behandelnde Medizin konzipiert. Hier muss sich definitiv etwas ändern. Viele Professoren sind noch immer der Ansicht: „Wir bilden Ärzte aus und keine Manager.“ Inhalte wie Betriebswirtschaft, Gesundheitsökonomie oder auch Führungsthemen und Kommunikation kommen im Medizinstudium nicht oder nur in sehr geringem Umfang vor. Das ist ein Problem. Auch deshalb, weil dadurch ein relativer Ärztemangel entsteht: Früher sind 99 Prozent der Absolventen in die behandelnde Medizin gegangen. Heute entscheiden sich viele nach dem Studium für eine Managementfunktion im Gesundheitswesen.
Wie könnte man die Situation verbessern?
Es ist nicht damit getan, lediglich die notwendigen Inhalte ins Medizinstudium zu integrieren. Das Studium ist jetzt schon fachlich überfrachtet, da jede kleinste medizinische Disziplin im Lehrplan berücksichtigt wird. Würde man jetzt noch Betriebswirtschaft, Gesundheitsökonomie, Marketing, Kommunikation etc. unterrichten, würde das zu viel und das Studium zu lang.
Es gibt natürlich schon Studiengänge, die versuchen, diese Lücke zu füllen – ich lehre ja selbst als Professor für Management in der Gesundheitswirtschaft an der FHM Bielefeld. Diese bereiten sicher ganz gut auf Leitungspositionen im Gesundheitsbereich vor. Ich persönlich halte es aber für wichtig, dass man im Topmanagement einer Klinik auch medizinische Grundkenntnisse hat. Denn dann kann man auch im fachlichen Bereich mit den Ärzten reden und wird in der Regel viel eher akzeptiert. Daher würde ich es begrüßen, wenn man in Deutschland über einen Bachelor-Master-Studiengang Medizin nachdenken würde, in welchem nach einer Vermittlng von Grundkenntnissen eine Differenzierung erfolgt.
Welche Qualifikationen muss Ihrer Meinung der ideale Bewerber für eine leitende Funktion in einer Klinik heute mitbringen?
Im Topmanagement einer Klinik – als Geschäftsführer oder als Ärztlicher Direktor – landet man nicht direkt nach dem Medizinstudium. Viele der Bewerber haben sich weitergebildet und an der Basis – häufig in der behandelnden Medizin – Erfahrung gesammelt. Ein Ärztlicher Direktor sollte natürlich über grundlegende medizinische Kenntnisse verfügen. Und ebenso wie ein Geschäftsführer muss er unser Gesundheitssystem kennen, Betriebswirtschaft und Gesundheitsökonomie beherrschen. Nicht zuletzt braucht man extrem gute kommunikative Fähigkeiten, um herausfordernde Situationen oder sogar Krisen meistern zu können. Man muss auch mit schwierigen Menschen umgehen können und sollte gelernt haben, schlechte Nachrichten zu überbringen oder auch Fehler einzugestehen.
Gilt das nur für Aufgaben als ärztlicher Direktor oder gar Geschäftsführer eines Krankenhauses oder erfordert nicht auch schon eine Chefarztfunktion inzwischen Management- und umfangreiche Kommunikationskenntnisse?
Das gilt ganz massiv auch für Chefärzte und – ärztinnen. Ein guter Chefarzt braucht natürlich eine hohe Kompetenz auf seinem Fachgebiet, aber er muss auch Managementfunktionen wahrnehmen.
Ein Versorgungsauftrag allein ist heute keine Garantie mehr für schwarze Zahlen. Auch Krankenhäuser müssen sich inzwischen einem Wettbewerb stellen und Patienten, aber in Zeiten des Fachkräftemangels auch Personal, für ihr Haus gewinnen. Was kann Marketing hier leisten?
Bleiben wir erst einmal bei der wissenschaftlichen Definition von Marketing: der Ausrichtung am Markt. Auch für eine Klinik ist Marktanalyse wichtig. Man muss erkennen, wo Bedarfe sind und wie die Marktsituation ist. Wenn man das weiß, sollte man zeigen, wie man tätig wird, um die unterschiedlichen Bedarfe zu decken. Und das ist m.e. dann erfolgreich, wenn es zielgruppenspezifisch ist. Nur wer Mitarbeiter Einweiser und Patienten gezielt anspricht und deren individuelle Bedürfnisse wahrnimmt, kann Wettbewerbsvorteile erlangen. Dabei muss man auch berücksichtigten, dass man unterschiedliche Gruppen über unterschiedliche Medien erreicht: den 80-jährigen Patienten gewinnen Sie nicht bei Snapshat oder Instagram; Auszubildende für die Pflege lockt man in der Regel nicht mit einer Anzeige in der Süddeutschen.
Viele Kliniken drucken endlos viele bunte Flyer, die sich in den Gängen stapeln und erreichen damit dennoch nicht ihre Zielgruppe. Was halten Sie von dieser Flyer-Schwemme?
Aus meiner Sicht bringt das gar nichts, außer das es den Patienten Beschäftigung bringt, während sie im Wartezimmer sitzen. Flyer und Prospekte sind im Krankenhaus einfach traditionell da. Die Dinger werden gern in riesigen Auflagen gedruckt und müssen dann halt auch verteilt werden. Ob diese Maßnahmen erfolgreich sind, wird dabei meist gar nicht hinterfragt. Die Herstellung ist teuer und oft liegt das Material dann in der eigenen Klinik aus – wo die Zielgruppe dann sowieso schon ist. Ganz ehrlich: Es wäre doch schon fast absurd, wenn jemand sich wegen eines besonders schönen Flyers für ein Krankenhaus entscheidet.
Um in Zeiten schwieriger Krankenhausfinanzierung weiterhin am Markt bestehen zu können befinden sich viele Krankenhäuser in einem umfassenden Veränderungsprozess. Wie kann es gelingen, die Mitarbeiter dabei mitzunehmen und was kann Change-Kommunikation dabei leisten?
Es kann dann gelingen, wenn man frühzeitig, transparent und ehrlich kommuniziert. Change-Kommunikation ist das A und O in Veränderungsprozessen und das Talent dafür ist selten angeboren. Hier hilft es, sich Experten an Bord zu holen. Es gehört schon ein gewisses Geschick dazu, sich frühzeitig auch den schwierigen Fragen zu stellen und deutlich zu kommuniziere, durch welche Täler man muss, um am Ende welches Ziel zu erreichen. Klar ist auch, ein Kulturwandel wird nicht von heute auf morgen passieren. Trotzdem muss man die Mitarbeiter bei der Stange halten. Es reicht eben nicht, zu sagen: Wer nicht will, kann ja gehen.
Das Risiko von Krankenhäusern, in eine kommunikative Krise zu schlittern, ist m.e. besonders hoch: Bei einem Krankenhaus schauen Medien und Öffentlichkeit besonders kritisch hin, denn hier geht es potentiell immer um die Gesundheit von Menschen, um Leben und Tod. Wird Ihrer Meinung nach dem Thema Krisenkommunikation in Kliniken hinreichend Aufmerksamkeit gewidmet?
Machen wir uns nichts vor: In nahezu allen Krankenhäusern wird Krisenkommunikation erst dann ein Thema, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Und selbst dann, lernen nur wenige daraus und legen hinterher mal fest, wer im Krisenfall mit wem wann wie redet. Dabei kann eine Krise, wenn sie von den Medien aufgebauscht wird, eine Klinik nachhaltig schädigen. Vertuschen und verschweigen ist auf jeden Fall der falsche Weg. Es wäre sehr sinnvoll, sich im Vorfeld schon einmal zu fragen: Was kann passieren? Wie würden wir reagieren, wenn das passiert? Leider beobachtet man bei der Vorbereitung auf Krisen in Kliniken oft mangelnde Professionalität. Vielleicht liegt es auch daran, dass im Gesundheitssektor gern mal Menschen arbeiten, die Ihre eigenen Fehler nur sehr ungern eingestehen.
Über Prof. Michael Fantini:
Prof . Fantini ist geschäftsführender und ärztlicher Direktor am KRH Klinikum Neustadt am Rübenberge. Der 55-jährige, der eine Professur für Management in der Gesundheitswirtschaft an der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld innehat, ist Facharzt für Anästhesiologie mit den Zusatzbezeichnungen Intensivmedizin, Notfallmedizin, Palliativmedizin, suchtmedizinische Grundversorgung und ärztliches Qualitätsmanagement. Er studierte Humanmedizin in Aachen und ergänzte seine Ausbildung mit einem Abschluss als Master of Health Administration an der Uni Bielefeld und einem Master of Laws in Medizinrecht an der Uni Münster. Bevor er 2015 ans Klinikum Region Hannover wechselte, war er in Krankenhäusern in Düren, Mönchengladbach, Rotenburg/Fulda, Görlitz, Cottbus, Leipzig, Bochum, Oberhausen und Lübbecke tätig.
Bild: KRH / phoenixX media